Local flair

Klein-Italien – ein einzigartiger Erinnerungsort

By Frédérique Bruck

Das „italienische Viertel“, das nur einen Katzensprung vom Zentrum Düdelingens entfernt ist, besteht im Wesentlichen aus zwei Gassen: der Rue Gare-Usines und der Rue des Minières, oder, wie man früher sagte, „Niederitalien“ und „Oberitalien“. Verzaubert von der malerischen Architektur des frühen 20. Jahrhunderts saust man die Gassen hinab, die tags wie nachts zum Spazieren einladen. Der Blick auf Düdelingen ist einzigartig. Genau wie der Ort, der sogar etwas unwahrscheinlich wirkt. Klein-Italien ist eine kleine Welt für sich und zudem eine wirkliche architektonische Sehenswürdigkeit. Was als Erstes auffällt, ist das beeindruckende Wirrwarr aus winzigen farbigen Häuschen. Hier scheint alles miteinander verbunden zu sein: die Balkone, Terrassen, Treppen und kleinen Gärten – es lässt sich nur schwer ausmachen, zu welchem Gebäude jedes dieser Elemente genau gehört.

©Emile Hengen

 

Antoinette Reuter vom Dokumentationszentrum für menschliche Migrationen, dessen Standort sich direkt neben dem Viertel befindet, erklärt uns, dass diese Gestaltung die Einwanderungen, die im Laufe der Jahre in dem Bergbaugebiet stattfanden, widerspiegelt. „Als einzigartiger Erinnerungsort, der es ermöglicht, die Bedeutung der Migrationen als Bestandteil der nationalen Geschichte des Großherzogtums zu verstehen, steht dieses Viertel im Zeichen von Bewegung und Transformation: Die italienischen Bergarbeiter waren die Ersten, die dieses Viertel Ende des 19. Jahrhundert bewohnten. Sie wählten den Ort aus einem praktischen Interesse, da das Viertel zwischen dem Bergwerk und der Fabrik lag. Im Laufe der Zeit verließen jedoch die ersten Bewohner Klein-Italien allmählich, da sich dessen Strukturen, die für die Aufnahme von Alleinstehenden gedacht waren, nicht für Familien eigneten. Anschließend zogen die erschwinglichen Preise Portugiesen an, die in den 70er-Jahren nach und nach die meisten Häuser kauften. Heute wohnen in dem Viertel auch Chinesen, Afrikaner und ein paar Luxemburger.“

©Emile Hengen

 

Ein Schlagwort: provisorisch
Während sich die Herkunft der Bewohner im Laufe der Zeit veränderte, erlebte das Viertel dennoch nie eine wirkliche fachgerechte Sanierung. Heute ist man weit von einer Gentrifizierung des Viertels entfernt: „Die Bewohner reparieren ihre Häuser soweit sie können, ein bisschen hier, ein bisschen dort. Es sind eher kleinere Heimwerkerarbeiten als eine grundlegende Renovierung. Es handelt sich um ein Viertel, in dem man sich vorübergehend niederlässt, bevor man – unterstützt vom Erfolg – in andere Viertel der Stadt zieht. Zum Beispiel war es in den 80er-Jahren nur eine eher beschämende Notlösung, in Klein-Italien zu wohnen. Die Mieten waren hier zwar gering, die Lebensbedingungen jedoch manchmal prekär. Im Gegensatz zu Düdelingen, einer Stadt mit einer über dem nationalen Durchschnitt liegenden Quote an luxemburgischen Einwohnern, ist das italienische Viertel weiterhin der Heimathafen von Neuankömmlingen“, erklärt Antoinette Reuter.

„Ich bleibe!“
Ein Bewohner, ein luxemburgischer Gebietsansässiger, der schon seit Langem hier lebt, wirft während einer Unterhaltung auf offener Straße ein: „Ich wohne jetzt seit 23 Jahren in diesem Viertel, in der Rue Gare-Usines. Die Italiener sind schon ewig nicht mehr hier. Ich bleibe! Ich kenne alle Bewohner, man grüßt sich auf der Straße und plaudert miteinander. Hier ist es ruhig. Gut, als es noch mehr Bistros gab, war es noch viel netter.“ Tatsächlich begannen die kleinen Geschäfte vor einigen Jahren, aus dem Viertel wegzuziehen, da die Bevölkerungsdichte im Vergleich zu früheren Jahren stark abnahm. Die bevorstehende Entfaltung mehrerer neuer Viertel in unmittelbarer Nähe von Klein-Italien verspricht eine Neubelebung der lokalen Wirtschaft. In der Zwischenzeit sind das Café Inès und die kleine portugiesische Bar perfekte Orte für eine kleine Verschnaufpause, um anschließend wieder in das Labyrinth von Klein-Italien einzutauchen. Oder man besucht das Dokumentationszentrum für menschliche Migrationen, Schnittstelle zwischen den mit dem historischen Erbe betrauten Institutionen (Archive, Bibliotheken, Museen), dem Vereinswesen, der Forschung und der allgemeinen Öffentlichkeit.

©Emile Hengen