Territorium, Esch2022-News
“Ich möchte unsere Region auf der Landkarte verankern.”

Thierry Kruchten ist seit Mai 2019 Leiter Tourismus, Mobilität & Nachhaltige Entwicklung bei Esch2022. Geboren in Esch und in Käerjeng aufgewachsen, studierte er Tourismusgeografie in Trier sowie Wirtschafts- und Verkehrsgeografie in Köln. Schon während seines Studiums zog es ihn zurück in seine Heimat im Süden Luxemburgs, wo er zunächst einige Praktika bei verschiedensten touristischen Einrichtungen sammelte. Neben seiner Tätigkeit als Supply Chain Manager bei der Heintz van Landewyck GmbH, war er auch zuständig für betriebliches Mobilitätsmanagement. Kruchten ist zudem Gründungsmitglied der luxemburgischen Gesellschaft für Geographie.
Hallo Thierry. Woran arbeiten Sie ein Jahr bevor die große Veranstaltung der Europäischen Kulturhauptstadt Esch 2022 stattfinden wird?
Momentan arbeite ich vor allem an der touristischen Vermarktung der Region. Eines der Hauptprojekte von Esch2022 wird eine Zeitreise durch Belval sein, bei der Besucher in einem GPS-getrackten Bus sitzen und mittels VR eine erweiterte Realität entdecken können. Das bedeutet, dass man genau an jenem Punkt in der virtuellen Welt ist, an der sich auch der Bus befindet und sieht, wie sich das Viertel über zwei Weltkriege bis hin in die 1980er Jahre verändert hat. Zusätzlich entwickeln wir eine Augmented-Reality-App, mit der die Besucher auf Rundgängen mehr über die einzelnen Orte der Region erfahren können. Wir erstellen einen Reiseführer und ein Produkt für Radrundwege, und vermarkten Esch und die Region im Ausland, zum Beispiel über Reiseblogs, soziale Medien und durch Mithilfe unserer lokalen und nationalen Partner. Gemeinsam mit den luxemburgischen und französischen Gemeinden arbeiten wir bereits an innovativen Übernachtungsmöglichkeiten in der Region – ein Beispiel für grenzüberschreitenden Tourismus.
Neben dem Tourismus ist Mobilität einer Ihrer Kernbereiche. Woran arbeiten Sie hier gerade?
Wir versuchen unsere Ziele im Bereich Mobilität, vor allem durch die Förderung der sanften Mobilität, die nachhaltig, umweltschonend und sozialverträglich ist, zu erreichen. Darüber hinaus arbeite ich an einem Mobilitätskonzept für die Eröffnungsfeier im Februar 2022, wo wir vor der Aufgabe stehen, über 30.000 Leute nach Belval zu bekommen. Unser gemeinsames Ziel: so viele Besucher wie möglich mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu transportieren. Zudem arbeiten wir unter anderem im Rahmen unserer Eröffnungsfeier mit dem Berliner studio klv an einem ausgeklügelten Besucherleitsystem für Belval. Das Viertel Belval ist geprägt von Stahlindustriebauten, die im kommenden Jahr Schauplätze von Esch2022 werden. Zu all diesen Tätigkeiten reihen sich auch noch unsere Bestrebungen der von der Agenda 2030 festgelegten Ziele im Bereich der nachhaltigen Entwicklung.

Wie man hört, gibt es sehr viel zu tun. Was bedeutet Ihnen das Projekt Esch2022 persönlich und warum ist es wichtig für die Region?
Ich bin hier groß geworden, habe mit Ausnahme meines Studiums die ersten 30 Jahre meines Lebens in der Region verbracht. Außerdem bin ich stolz auf die Gegend, ihre Einwohner, die Vielfalt, die Multikulturalität, die an jeder Ecke spürbar ist. Es geht darum, unsere Region, die touristisch noch nicht so entwickelt ist, auf der Landkarte zu verankern, ihre Einzigartigkeit zu zeigen und ihren Ruf zu verbessern. Das Ziel besteht darin, diese ehemals von der Industrie geprägte Gegend in eine interessante, handlungsfähige und innovative Tourismusregion zu verwandeln.
Für Menschen, die die Region noch gar nicht kennen: Was ist das Besondere an der Esch2022-Region?
Die Region hat sich schon immer durch eine historische Bereitschaft zur Veränderung und stetigen Wandel ausgezeichnet, aber auch durch starken Zusammenhalt. Der Süden Luxemburgs war lange Zeit von der Stahlindustrie geprägt. Andererseits liegt hier auch das größte Naturreservat des Landes, wovon allerdings selbst im Süden die wenigsten Einwohner wissen. Diese Naturlandschaft ist einzigartig, man sieht die Terrassen, auf denen früher der Stahl abgebaut wurde und wie der Mensch die Natur geformt hat. Der Süden ist der Schmelztiegel der Nationen, Kulturen und Traditionen, was der Region ihren einzigartigen Charme verleiht.

In der Gemeinde Schifflingen verschmelzen ehemalige Stahlindustrie und Natur zu einem einzigartigen Panorama.
Was hat die Region den Besuchern zu bieten und was macht die Region einzigartig?
Für den Tourismus ist die Region als Kulturlandschaft bedeutsam, schließlich trägt sie das Label UNESCO-Biosphärenreservat. In den Städten ist der europäische Gedanke allgegenwärtig, denn an jeder Ecke findet man eine portugiesische Kneipe, daneben einen kleinen Italiener und auch einen indischen Laden. Hier leben viele Kulturen auf engem Raum zusammen. Die Grenzen sind nicht spürbar: In Rümelingen etwa verläuft die Grenze zu Frankreich durch einen Park und man merkt nicht einmal, dass man die Landesgrenze überquert hat.
Wie hat sich die Esch2022-Region von einer industriellen Stahlstadt zur einer Europäischen Kulturhauptstadt entwickelt?
Die meisten Menschen verbinden Luxemburg wahrscheinlich mit Banken, dabei war es ursprünglich eine relativ arme Region. Im Süden gab es praktisch nichts, bis das Eisenerz in der Region entdeckt wurde. Das führte auch zu der multikulturellen Gesellschaft: Es wurden Arbeitskräfte in der Stahlindustrie benötigt, und es zogen vor allem Portugiesen und Italiener hierher. Nach dem Ende der Stahlindustrie hat sich die Region stetig weiterentwickelt, etwa durch die Gründung der Universität. Ich vergleiche die Region immer gerne mit dem Ruhrgebiet. Die Geschichte, die Liebe zum Fußball – zwischen Luxemburg und dem Ruhrgebiet liegen 400 Kilometer, aber die Mentalität ist ähnlich.
Wie sieht Ihre Vision im Bereich Tourismus und Mobilität für die Region Esch im Jahr 2022 aus?
Ich glaube, es ist wichtig, die Region als attraktives Ziel für Städtereisen zu etablieren, nicht nur national, aber auch international, neue Angebote und Attraktionen zu schaffen und die regionale Identität zu steigern. Im Bereich Mobilität geht es darum, eine moderne, sanfte Mobilität zu fördern, zum Beispiel durch eine einheitliche Beschilderung, sei es für Fahrradfahrer, Fußgänger oder andere Verkehrsteilnehmer.
Sie stammen aus der Region um Esch. Was würden Sie jemandem zeigen wollen, der das erste Mal zu Besuch kommt?
Ich würde vor allem die Wanderwege empfehlen, auf denen man die Überbleibsel der Stahlindustrie erkunden kann. Aber auch die Gastronomie ist interessant, dieser Mix aus traditioneller luxemburgischer Küche mit portugiesischen, italienischen und anderen Einflüssen.

Wie sieht es denn mit Partnern aus, mit denen ihr im Bereich Tourismus und Mobilität zusammenarbeitet? Gibt es diese schon oder seid ihr noch auf der Suche?
Wir arbeiten eng mit der Generaldirektion für Tourismus sowie mit der nationalen Vermarktungsagentur Luxembourg for tourism zusammen. Auch der Regionale Tourismusverband Region Süden (ORT Sud) ist involviert, sowie der Luxembourg City Tourist Office und weitere Tourismusstellen des Landes. In den nächsten Monaten wird sich die Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen auf der französischen Seite wie Gemeinden, Tourismusstellen oder Museen intensivieren. Im Bereich Mobilität sind dies die Gemeinden, das Verkehrsministerium, der Verkehrsverbund sowie die Straßenbauverwaltung, um nur einige zu nennen.
Wenn Sie an die Region nach 2022 denken, welche Wirkung möchten Sie im Rahmen von Tourismus, Mobilität und der nachhaltigen Entwicklung hinterlassen?
Der Aspekt Nachhaltigkeit spiegelt sich in sämtlichen Überlegungen, die wir anstellen, wider. Dazu gehört etwa ein Tourismus-Netzwerk, von dem die Region auch über 2022 hinaus profitieren wird. Wir planen keine großen Bauten, sondern wollen, dass alles, was wir anstoßen, Bestand haben wird und die Region nachhaltig davon profitiert.