Programm, International
Fokus auf das Programm: Serge Ecker in Esch2022 und in Kaunas 2022

Serge Ecker: „Die wahre Herausforderung ist es, digitale Informationen in die echte Welt zurückzubringen“
„Ich habe immer ein bisschen Angst davor, mich als Künstler zu bezeichnen, weil das nicht meine Entscheidung ist, aber OK, es gibt sonst keine passende Beschreibung“, sagt Serge Ecker, ein Luxemburger, der im Begriff ist, in Kaunas in Litauen kreative Spuren zu hinterlassen. Die bisherigen Arbeiten von Serge Ecker bestehen aus faszinierenden Ideen, darunter eine Intervention aus Aluminium im luxemburgischen Polizeipräsidium, eine ortsspezifische Installation aus Holz und Projektionen für den luxemburgischen Pavillon bei der Architekturbiennale in Venedig, eine infrarotbeheizte Skulptur, ein Papierflugzeug aus Beton, ein Segel-Installations-Floß in Bulgarien und vieles mehr. Mit seinen persönlichen Projekten und für Gruppenausstellungen ist der Künstler bisher nach Österreich, Griechenland, in die USA und auch nach Litauen gereist. Und es steckt noch mehr hinter Serges Beziehung zu Litauen.
Sowohl Esch-Alzette, wo unser Interviewpartner geboren wurde, als auch Kaunas, die zweitgrößte Stadt Litauens, werden im Jahr 2022 Kulturhauptstädte Europas sein. Serge und der litauische Bildhauer Algimantas Šlapikas arbeiten seit einiger Zeit aus der Ferne an einem zukünftigen Projekt im Bezirk Karmėlava in Kaunas. Vor einigen Wochen gewannen sie einen Ideenwettbewerb mit ihrem Vorschlag „Flying Cepelinai“, ein Projekt rund um Cepelinas, ein traditionelles litauisches Gericht aus Fleisch und Kartoffeln, das einem Flugobjekt – dem Zeppelin – ähnelt. Zeit, mehr über die gastronomische Installation und Serges bisherigen künstlerischen Werdegang zu erfahren.
Wie hat dein künstlerischer Weg begonnen? Wie sah die Kunstszene in Luxemburg damals aus, und hat sie sich seitdem viel verändert?
Im Jahr 2010, als ich hauptsächlich Architekturvisualisierungen machte und mein eigenes kleines Unternehmen hatte, begann ich durch Zufall und hauptsächlich aus Neugier, wie ich meine Fähigkeiten und Werkzeugen einsetzen könnte, an kunstbezogenen Projekten zu arbeiten. Das Klima in der Kunst in Luxemburg hat sich in den letzten Jahren positiv verändert. Meine Generation von Künstlern hat verstanden, dass sie zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstützen müssen, um eine kritische Masse zu schaffen und in der Gesellschaft relevant zu sein. Im Moment haben wir auch ein sehr unterstützendes Kulturministerium, das (nicht nur), aber momentan speziell tut, was es kann, um die derzeitige COVID-19-Situation irgendwie erträglich und weniger existenziell bedrohlich zu machen.
Wie wählst du die besten Medien für deine Ideen aus? Tendierst du dazu, nach neuen Ausdrucksmitteln zu suchen, oder vertraust du denen, die du schon kennst?
Wie ich bereits sagte, entstehen viele Dinge durch Zufall oder Neugier, wenn ich mich frage, ob etwas funktionieren könnte. Da ich viel mit digitalen Werkzeugen arbeite – 3D-Software, Digitalfotografie, Planung, Skizzen, 3D-Scans – liebe ich es, zu sehen, was passiert, wenn diese „Werkzeuge“ versagen und Pannen produzieren oder was passiert, wenn ich zum Beispiel die Anzahl der Polygone transformiere oder reduziere … Solche Experimente oder Rekonstruktionen der Realität, das „Scannen“ eines Ortes, eines Objekts, deren Übersetzung in die digitale Welt, finde ich interessant.
Wie bist du mit den Kulturhauptstädten in Kontakt gekommen?
Ich bin schon seit geraumer Zeit ein Freund und Fan von Litauen, wegen den Menschen und Freunden, die ich hier in Luxemburg und bei meinen Besuchen in Litauen kennengelernt habe. Als ich gesehen habe, dass Kaunas Kulturhauptstadt wird und zufälligerweise auch Esch, wo ich geboren bin und in der Schule war, mit der umgebenden Region Minett, habe ich mich irgendwie verpflichtet gefühlt, mich in diesem Prozess zu engagieren und etwas beizutragen. Für Esch2022 habe ich Projekte gestartet und mich beworben, aber für Kaunas war ich sehr überrascht und dankbar, dass ich ausgewählt wurde und von den Organisatoren gefragt wurde, ob ich eine Skulptur/Installation für Karmėlava in Zusammenarbeit mit Algimantas Šlapikas entwickeln möchte.
Kannst du uns mehr über die Projekte für Esch2022 erzählen?
„Anthroposcape“ ist ein Projekt für die Gemeinde Kayl/Tetingen über einen Tagebau, der die Landschaft der Stadt, in der ich aufgewachsen bin, verwandelt hat. Es entsteht in Zusammenarbeit mit der letzten verbliebenen Eisengießerei. „DKollage“ ist ein Prozess mit unserem Künstlerkollektiv DKollektiv, bei dem wir eine Industriehalle in Dudelange partizipativ renovieren, die zu einem gemeinsamen kreativen Raum, einer Werkstatt und einem Fotolabor werden soll. Das machen wir mit der Unterstützung der Gemeinde Dudelange, der Œuvre Nationale de Secours G.-D. Charlotte und Esch2022. Des Weiteren gibt es „Konkasser“, den Bau einer Steinschleiferei in der Gemeinde Sanem mit zwei anderen Mitgliedern vom DKollektiv, Misch Feinen und Eric Marx. Außerdem war ich Teil einer Jury, die Fotos für eine Ausstellung der litauischen Gesellschaft hier in Luxemburg auswählte.
Also: Cepelinai. Was denkst du von diesem kulinarischen Objekt? Wann hast du gemerkt, dass es da um mehr als nur um Essen geht?
Ich lernte Cepelinai auf meiner ersten Reise nach Litauen kennen und seitdem liebe ich sie … Besonders die gebratenen. Als wir an dem Projekt arbeiteten und mit Algimantas sprachen, haben wir über Formen nachgedacht. Natürlich hat der Cepelinai eine ziemlich kultige Form, vor allem in Bezug auf sein fliegendes Pendant.
Was war die Basis für die Idee für Karmėlava? Inwieweit war/ist die örtliche Gemeinschaft beteiligt?
Die Grundlage für die Idee war das Briefing, das einen bestimmten Rahmen für Karmėlava definierte: mit dem Flughafen, dem Krieg und lokaler Folklore wie Cepelinai. Algimantas und ich dachten, wir sollten auch ein wenig Humor hinzufügen, um das Rezept aufzupeppen. Aufgrund der Covid-Situation konnte ich leider nicht nach Kaunas kommen, und auch nicht die örtliche Gemeinschaft treffen oder mit ihr interagieren; sonst hätten wir uns einen Cepelinai-Wettbewerb vorstellen können, um die geeignetsten und legendärsten Cepelinas für einen 3D-Scan zu finden. Vielleicht können wir das Werk wenn es fertig ist mit einem Cepelinai-Festival einweihen.
Wie kommst du mit Algimantas Šlapikas zurecht? Arbeitet ihr heutzutage aus der Ferne zusammen, oder wie funktioniert das?
Algimantas ist ein interessanter Charakter und ein Künstler mit einem guten Sinn für Humor, was ich sehr wichtig finde, um mit jemandem gut auszukommen. Er ist ein viel erfahrenerer Künstler als ich mit einer langen Karriere und seinen „Werkzeugen“; er weiß, wie man Formen und Volumen, Materialien mit den Händen bearbeitet, und ich bewundere diesen Ansatz, da ich mit Plänen und 3D-Modellen arbeite. Es ist immer interessant, diese Welten zu vermischen, die scheinbar gegensätzlich sind, aber das sehe ich als Vorteil und echte Zusammenarbeit, bei der beide Künstler ihre eigenen Werkzeuge für das Projekt einsetzen.