Esch2022-News, Programm, Neueste

Der Salon von Helen Buchholtz im Bridderhaus

©Charles Bernhoeft

Interview mit Claude Weber, dem künstlerischen Leiter des Projekts

Was war der Ausgangspunkt dieses Projekts?
Helen Buchholtz ist eine Komponistin, die in Esch geboren und deren Werk in den 2000er Jahren wiederentdeckt wurde. In den vergangenen zwanzig Jahren habe ich intensiv mit MusikerInnen, MusikwissenschaftlerInnen und FreundInnen zusammengearbeitet, um eine Neuentdeckung und Neubewertung ihres Lebens und Schaffens zu ermöglichen. Dass wir das Projekt im Rahmen von Esch2022 präsentieren dürfen, ist eine glückliche Fügung, da Buchholtz neben Aufenthalten in Wiesbaden und – gegen Ende ihres Lebens – in Luxemburg-Stadt vor allem in Esch aktiv war.

Wie wurde sie wiederentdeckt und auf welche Quellen konnten Sie zurückgreifen?
Für den Musikwissenschaftler, der ich bin, ist das Projekt ein Traum, den ich gemeinsam mit Danielle Roster, die sich seit längerer Zeit mit Komponistinnen beschäftigt, verwirklichen konnte. In einem Fernsehinterview mit Christiane Kremer auf RTL sprach Danielle von Helen Buchholtz und hob hervor, dass wir so gut wie nichts über sie wüssten und ihre Arbeiten weitestgehend verschollen seien. François Ettinger, der damals fast 90-jährige Neffe der Komponistin, nahm im Anschluss an die Sendung Kontakt mit Danielle auf und stellte ihr Manuskripte, Partituren, Objekte usw. zur Verfügung. Dieses Material wurde anschließend dem CID Fraen an Gender übertragen, einem Dokumentations- und Informationszentrum über Frauen und Gender. Das erste Konzert mit Werken von Helen Buchholtz fand 2000 in Anwesenheit ihres Neffen im Cercle Cité statt. Weitere Konzerte folgten an den Musikhochschulen Esch und Ettelbrück, im Cube 521 und an anderen Orten. Mehrere zeitgenössische MusikerInnen, darunter der Pianist Marco Kraus, begannen, sich für ihre Musik zu interessieren. Doch ihre Kunstmusik ist bis heute noch nicht veröffentlicht worden.

Erzählen Sie uns von dem multidisziplinären Salon, der im Rahmen von Esch2022 stattfindet…
Die Idee war, das Werk und Leben von Helen Buchholtz in einen lokalen und europäischen Kontext zu stellen. Sie wurde 1877 geboren und schuf den Großteil ihres Werks zwischen 1910 und 1920. Ihre von der Spätromantik beeinflusste Musik war zweifellos auch von Varieté, Tanz, Jazz und Café-Concert geprägt. Zwei ihrer deutschen Lieder wurden in Wiesbaden veröffentlicht.

Wo erhielt sie ihre musikalische Ausbildung?
Sie war hauptsächlich Autodidaktin, da es damals noch keine Musikhochschulen im Land gab. Informationen wurden in Musikvereinen ausgetauscht, die in Esch sehr aktiv waren. Auf dem Mädcheninternat in Longwy erhielt sie eine musikalische Ausbildung, wie sie jungen Mädchen aus gutem Hause gemeinhin zugutekam. Ihre Korrespondenz bezeugt, dass sie mit anderen Komponisten in Kontakt stand, denen sie ihre Partituren schickte, insbesondere Militärmusikleiter, Luxemburger, Deutsche, Franzosen oder auch Belgier, die in Luxemburg lebten.

Wuchs sie in einer musikalischen Familie auf?
Ihre Familie praktizierte vermutlich Laienmusik. Es war eine Händlerfamilie: Helens Vater hatte den Baumarkt Buchholtz-Ettinger gegründet, der bis in die 1990er Jahre hinein bestand, eine wahre Institution im Stadtzentrum von Esch. Die Familie besaß zudem eine Brauerei in Lallingen, deren Miteigentümerin Helen wurde. Wie ihr Neffe es ausdrückte: „Sie komponierte nicht, um Geld zu verdienen.“

Hat sie auf dem Klavier komponiert?
Ja, sie war Pianistin, obwohl sie auch eine Geige besaß. Sie komponierte im Wesentlichen Melodien, Musik nur für Klavier, zahlreiche Stücke für Harmonieorchester, die sich im Archiv der Luxemburger Militärkapelle befinden, und einige Stücke für großes Orchester. Mehrere ihrer Partituren wurden digitalisiert – unter anderem im Hinblick auf ihre Interpretation durch Gerlinde Säman, eine blinde Sängerin, die Braille-Partituren liest. Aber dabei handelt es sich noch nicht um eine fachkritische Ausgabe – obwohl ihre Aufzeichnungen sehr leserlich sind.

Wird das Publikum Teile ihres Repertoires im Salon hören können?
Ziel ist es nicht, einen umfassenden Überblick zu geben, sondern ihre Musik in Beziehung zu anderen Stilrichtungen und Werken aus anderen Ländern zu setzen. Zu den verschiedenen Salons, die (mit Ausnahme eines Freitagabends) alle an Donnerstagabenden um 20 Uhr stattfinden, zählt ein Konzert mit Gerlinde Säman, mit der ich bereits 2019 eine Doppel-CD mit allen Melodien und Liedern von Helen Buchholtz aufgenommen habe. Außerdem werden Werke einer österreichischen und einer englischen Komponistin aus derselben Zeit zu hören sein. Die InterpretInnen der verschiedenen Salons hatten bei der Programmwahl freie Hand; die einzigen Vorgaben waren die Epoche, in der die Komponistin lebte, und der Fokus auf Musik von Frauen, darunter mindestens ein Werk von Buchholtz. Vier dieser Programme sind ausschließlich Frauen gewidmet und werden ausschließlich von Frauen interpretiert.

Im Rahmen von Esch2022 habe ich InterpretInnen aus anderen europäischen Ländern wie Großbritannien, der Tschechischen Republik usw. eingeladen. Diese SängerInnen werden Meisterkurse leiten, die sich auf das Gesangsrepertoire in ihrer jeweiligen Sprache konzentrieren. Wer traut sich, auf Tschechisch zu singen? Dies wird eine einmalige Gelegenheit für junge SängerInnen sein, andere europäische Kulturen zu entdecken.

Finden alle Salons im Bridderhaus statt?
Wir suchten nach einem authentischen Veranstaltungsort, der kein Konzertsaal im eigentlichen Sinne ist, sondern eher einem privaten Setting gleichkommt, also nach einem einladenden Ort. Das Geburtshaus der Komponistin – dessen Fassade noch existiert – ist nicht geeignet, um vor Publikum zu spielen. Das Bridderhaus, das rund 40 Personen Platz bietet, eignet sich hervorragend für dieses Projekt. Die Szenografie des Salons wurde Christian Aschman anvertraut. Statt einer historischen Rekonstruktion wird das Ambiente den Geist der Salons widerspiegeln – so wie das Bridderhaus aus dem frühen 20. Jahrhundert nach modernen Gesichtspunkten renoviert wurde. Das Publikum wird zudem selten ausgestellte Objekte aus den Sammlungen der Stadt Esch entdecken können. Auch mehrere Originalpartituren werden zu sehen sein. Daneben sind dank unserer Zusammenarbeit mit Mugilux – einer neuen Plattform, die von der Universität Luxemburg und CID Fraen an Gender entwickelt wurde, um die Musikgeschichte aus einer genderspezifischen Perspektive zu erforschen – weitere Dokumente auf Tablets abrufbar.

 Was ist die Zielsetzung des Kompositionsworkshops?
Der Workshop versteht sich als Ansporn für junge Komponistinnen – und natürlich auch Komponisten – in Luxemburg! Der Workshop wird betreut von Catherine Kontz, Composer-in-Residence des Projekts, die bestimmte Werke von Helen Buchholtz für andere Formationen – insbesondere Streichquintett – arrangieren wird, da der Salon nicht genügend Platz für ein großes Harmonieorchester bietet! In den verschiedenen Salons werden auch mehrere Werke von Catherine Kontz aufgeführt.

Würden Sie sagen, dass es ein sehr feminines Projekt ist?
Es ist definitiv eine Hommage und ein Ansporn für junge MusikerInnen, den Sprung ins kalte Wasser zu wagen. Aber der Kompositionsworkshop richtet sich sowohl an Mädchen als auch an Jungen, die gegenwärtig an Musikschulen und Konservatorien ausgebildet werden. Wir planen zudem, pädagogische Workshops für Grund- und weiterführende Schulen zu anzubieten.

Wie soll sich das Projekt in Zukunft weiterentwickeln?
Wir stehen in Kontakt mit einer Wiesbadener Forscherin, die sich mit vier Komponistinnen, darunter Helen Buchholtz, beschäftigt und eine Ausstellung plant. Wir hoffen, unsere Konzerte auch in anderen europäischen Ländern präsentieren zu können! Die aktuelle Website wird auf die multimediale Mugilux-Plattform der Universität migrieren. Der Salon an sich könnte auch mit wechselnden Themen oder Veranstaltungsorten fortgesetzt werden. Aber der Reihe nach: zunächst möchten wir Sie zur ersten Ausgabe begrüßen!

Der Salon von Helen Buchholtz
Vom 22.09.2022 bis 22.12.2022
Informationen zu Buchungen und weitere Details den Öffnungszeiten der Ausstellung, den Salons und den Workshops sind online abrufbar:

www.lesalondehelenbuchholtz.lu

Instagram: www.instagram.com/lesalondehelenbuchholtz

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