Esch2022-News, Programm, Neueste

Austellung „REMIXING Industrial Pasts – Constructing the Identity of the Minett“ in der Massenoire

Stefan Krebs

Eine Kollaboration zwischen Forschern, Künstlern und Architekten
Interview mit Stefan Krebs

Stefan Krebs ist Assistant Professor und Leiter der Abteilung „Public History“ am Centre for Contemporary and Digital History (C2DH) der Universität Luxemburg. Vergangenes Jahr wurden er und sein Team vom Fonds National de la Recherche im Bereich „Outstanding Promotion of Science to the Public“ für sein Projekt „Historical Voices from the Minett“, das im Rahmen von Esch2022 entstand, ausgezeichnet.

Im Rahmen von Esch2022 findet zwischen dem 27.02.2022 und 15.05.2022 die Ausstellung „Remix Industrial Past: Constructing the Identity of the Minett“ statt, die sich um den kontinuierlichen Transformationsprozess der Region dreht. Dabei wird sich der Ausstellungsort, die Massenoire in eine Art Zeitmaschine verwandeln. Vielleicht können Sie ein bisschen mehr dazu sagen?
Wir stecken gerade noch mitten in den Vorbereitungen der Multimedia-Ausstellung, die in enger Zusammenarbeit zwischen Tokonoma, dem Architekturbüro 2F Architettura, das sich mit der Raumplanung beschäftigt hat, und uns Historikern vom C2DH entsteht. Wir haben die historischen Narrative erarbeitet und sind somit für den historischen Inhalt der Ausstellung zuständig. Federführend war aber das Tokonoma-Studio, das das gesamte Konzept für diese Ausstellung entwickelt und unsere historischen Narrativen wiederum in eine Multimedia-Erzählung umgesetzt hat.

Ähnlich wie bei der Videoinstallation für die Geschichtswerkstatt geht es hier wieder um die Übersetzung von historischer Recherchearbeit in eine historische Erzählung, die zugänglich für das breite Publikum ist. Dieses Mal war Tokonoma noch mehr involviert in der Art und Weise, wie man dies in der Massenoire, die ja erstmal eine recht nüchterne Industriehalle ist, umsetzen kann. Denn neben den drei Silos, die dort noch erhalten geblieben sind, ist in der Massenoire nichts von der ursprünglichen Einrichtung übrig, im Gegensatz zu der Möllerei, deren „Innenleben“ noch von ihrer industriellen Vergangenheit zeugt. Und Tokonoma hat eben überlegt, wie man in diesem Gebäude eine historische, wie künstlerische Ausstellung umsetzen kann.

Die Ausstellung findet auf zwei Ebenen statt: zum einen eine 8-Kanal-Videoinstallation im oberen Teil des Raums, die hauptsächlich auf Material aus dem CNA zurückzuführen ist – verschiedenstes Filmmaterial, Familienfilme, Fernsehreportagen, Spielfilme, Dokumentarfilme, alles was man so an bewegtem Material hat – es gibt einen Zusammenschnitt durch die fast 100 Jahre Industriegeschichte, angelehnt an die Themen, die man dann auch in den anderen Stationen der Ausstellung entdecken kann, aber die das Ganze nochmal komplementieren und auf eine andere künstlerische Art in Szene setzen.

Auf der Besucherebene befinden sich 5 einzelne Installationen, die erst mal sehr luftig, ephemer 5 Szenerien darstellen. Jede dieser Installationen ist wiederum einem übergeordneten historischen Thema gewidmet: da wäre einmal die Transformation der Landschaft, die visuelle Identität der Minett, das Leben in der Minett, die schöne und die „dreckige“ Seite der Minett und schließlich die Rolle der Grenzen.

The Minett as Palimpsest
Die Transformation der Landschaft handelt vom Bergbau sowie der Eisen- und Stahlindustrie in der Minett-Region. Die industriellen Aktivitäten haben zu teilweise gravierenden Umformungen der Landschaft geführt. Ganze Bergkuppen wurden abgetragen, große Tagebaue angelegt, so dass aus einer ursprünglich eher agrarisch-ländlich geprägten Gegend eine Industrielandschaft geworden ist. Auch die Industrieanlagen sind mehrfach im Laufe der Zeit um- und ausgebaut worden, so dass z.B. am Ende des Lebenszyklus der großen Hüttenwerke kaum noch etwas von dem stand, was ursprünglich Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut wurde. Die Transformationen können als eine Art von Palimpsest verstanden werden, es wurde immer wieder etwas entfernt und etwas Neues draufgesetzt, bis hin zur Phase der Postindustrialisierung. Ein Beispiel dafür ist das Belval-Viertel, erst Naherholungsgebiet, dann ein modernes Hüttenwerk, schließlich eine Industriebrache, auf der zurzeit ein neuer Wohn- und Arbeitsort entsteht.

The (Visual) Identity of the Minett
In der zweiten Installation geht es vor allem um die visuelle Identität der Region. Diese hat sich im Laufe der Zeit verändert, was man anhand von Fotografien der Region nachzeichnen kann. Lange Zeit dominierte in der Region die klassische Industriefotografie, in der die Arbeiter wie Anhängsel der Maschinen waren, die die Größe, die Monumentalität dieser Anlagen unterstrichen haben. Es ging also weniger um die Arbeiter, sondern um die Maschinen, die Anlagen. Dieses Bild hat sehr lange, bis in die zweite Hälfte des 20 Jahrhunderts, das fotografische Gesicht der Region geprägt.

Erst ab den 1970er Jahren gerät das Ganze zusammen mit der Stahlkrise in Bewegung. In der Ausstellung zeigen wir, wie sich das fotografische Bild bzw. Selbstbild der Region gewandelt hat, indem die soziale Fotografie, die klassische unternehmensgetriebene Industriefotografie komplementiert hat. Dies war natürlich nicht ganz unumstritten, denn nun wurden Dinge gezeigt, die zumindest in der öffentlichen Darstellung der Eisen- und Stahlindustrie lange verborgen blieben, wie zum Beispiel Arbeiter zu Hause in der Rolle als Familienväter oder die Sammelunterkünfte der ausländischen Arbeiter, die nicht ganz so schick ausgesehen haben.

The Minett: Dirty or Beautiful?
Dann gibt es als drittes Thema die Umweltverschmutzung. Mit den großen Hüttenwerken, die seit den 1870er Jahren in der Minett in Betrieb gingen, kam eben auch durchaus eine große Umweltbelastung auf die Industriestädtchen zu. Und oft mag man meinen, dass so Themen wie Umweltverschmutzung eigentlich erst seit den 1970er Jahren so richtig im öffentlichen Bewusstsein sind, aber man kann zeigen, dass sich in den 1920er Jahren die Einwohner und Journalisten, aber auch Leute in den Stadtverwaltungen der Probleme sehr wohl bewusst waren.

Schon in der Zwischenkriegszeit war die Staubplage ein öffentliches Thema, da sie als sehr belastend empfunden wurde. Einerseits war sie ein Ärgernis, weil die Häuserfassaden und die frisch gewaschene Wäsche, die draußen zum Trocken aufgehangen wurde, schnell wieder dreckig wurde. Aber es ging durchaus auch um gesundheitliche Auswirkungen. Den Leuten wurde empfohlen, sich möglichst viel Zeit in den Wäldern und Parks der Gegend aufzuhalten, um sich von dieser Belastung zu erholen. Man hat sehr wohl nach Wegen gesucht hat, da Linderung zu schaffen.

Living in the Minett
Im vierten Teil geht es um die Lebensbedingungen und Wohnverhältnisse in den Industriestädten. Mit der Industrialisierung der Region im späten 19. Jahrhundert hat ein enormes Bevölkerungswachstum stattgefunden. Allein in Esch hat zwischen 1870 und 1914 eine Verzehnfachung der Einwohnerzahl in gerade mal 4 Jahrzehnten stattgefunden, was enorm ist. Das damit verbundene große Problem: Wie schafft man einen halbwegs erträglichen Wohnraum für diese Zahl an Menschen? Wir wissen, dass es einem Teil der Bevölkerung ganz gut ging, dass sie sehr viel Wohnraum zur Verfügung hatten. Andere wiederum lebten in Quartieren, die schrecklich überbelegt waren. Betten wurden mehrfach an Schlafgänger untervermietet, man hat also in Schichten geschlafen und gearbeitet.

Zudem wird in diesem Teil der Ausstellung auch die Rolle der Frau thematisiert. Zum einen war die Haushaltsführung ohnehin fest in Frauenhand. Zum anderen werfen wir einen anderen Blick auf die Industriegeschichte, durch die Augen der Frauen, die bislang weniger im Fokus der Geschichtswissenschaft standen, wenn es um Industriegeschichte ging.

(The) Minett across Borders
Bei der letzten Installation dreht sich alles rund um das Thema der Grenze. Wie bereits bei den anderen Installationen, geht es auch hier um deren Transformation. Der prägnanteste Wandel der Grenzen in unserem Untersuchungszeitraum fand 1918/19 statt. Solange Luxemburg Teil des Deutschen Zollvereins war, war die Grenze nach Lothringen zwischen 1871 und 1918 sehr durchlässig.

Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Austritt Luxemburgs aus dem Zollverein und der Abtretung Lothringens wieder an Frankreich, hatten wir auf einmal eine neue Zollgrenze. Dadurch entstand auch mehr Schmuggel, da es auf einmal interessant war bestimmte Dinge, die z.B. in Frankreich günstiger einzukaufen waren, nach Luxemburg zu schmuggeln und umgekehrt. Auch was die Arbeitsmigration betrifft, war es im 19. Jahrhundert für Arbeiter noch einfacher in ein anderes Land einzuwandern, ohne entsprechende Papiere zu haben. Ab dem Ersten Weltkrieg und dann in der Zwischenkriegszeit wandelte sich das stark. Immigranten brauchten immer mehr Papiere, um überhaupt legal arbeiten zu dürfen, legal wohnen zu dürfen usw. Die ausländischen Arbeitskräfte waren mit neuen Problemen konfrontiert und sie befanden sich auf einmal in einer neuen prekären Situation.

 Neben der multimedia Ausstellung in der Massenoire wird es eine weitere Ausstellung geben. Können Sie uns bereits etwas zu der zweiten Ausstellung verraten?
Am 14. Mai wird unsere virtuelle Ausstellung eröffnet, in der die oben erwähnten Themen, sowie noch viele weitere in rund 20 Kapiteln nochmal ausführlicher präsentiert werden. Die Ausstellung mit dem Titel „Minett Stories“ beinhaltet ganz unterschiedliche Geschichten aus der Minett. Alle Geschichten werden einmal in einer Kurzfassung dargestellt, wobei wir unterschiedliche Erzählformate ausprobieren werden: Videos, Podcasts, Graphic Novels usw. Daneben gibt es zu jeder Geschichte eine ausführlichere historische Darstellung in Textform. Im Gegensatz zu der Ausstellung in der Massenoire, die sehr künstlerisch ist, wird diese das Augenmerk stärker auf die historische Forschungsarbeit legen.

Wie verlief ihre Zusammenarbeit mit ihrem Team und Tokonoma?
Wir am C2DH sind ein relativ großes Team, und ich habe versucht, als Leiter des „Remixing Industrial Pasts“ Projekts den einzelnen Kolleginnen und Kollegen möglichst großen Freiraum zu lassen, um bestimmte Themen, die sie selber bearbeiten wollten, zu vertiefen und diese dann darzustellen. Und gleichzeitig sind wir im Sinne von Remix das Wagnis eingegangen, erstmal nicht mit einem großen roten Faden anzufangen, sondern zunächst unterschiedliche Themen zu verfolgen, um im Laufe des Prozesses wieder nach den Gemeinsamkeiten zu schauen.

Und was speziell für die Ausstellung in der Massenoire wichtig war, ist eben die wirklich grandiose Zusammenarbeit mit Tokonoma, also mit Chiara Ligi und ihrem Team. Obwohl wir so unterschiedliche Ansatzpunkte haben, sprachen wir sehr schnell eine gemeinsame Sprache. Es war fast schon zu einfach, ein gemeinsames Konzept auszuarbeiten. Ich glaube das hat damit zu tun, dass Tokonoma schon häufiger künstlerische Ausstellungen zu historischen Themen gemacht haben. Mit ihrem unwahrscheinlichen Gespür für historische Themen, vertiefen sie sich selber in die historische Quellenarbeit. Wir haben die Narrative und sehr viele Quellen geliefert, gleichzeitig geht Tokonoma hin und gibt sich nicht mit dem zufrieden, was wir liefern, sondern geht selber in die Archive, bohrt weiter, schaut weiter. Teilweise haben sie sogar Dinge gefunden, die wieder unseren Quellenfundus bereichern konnten, also nicht etwas, was man von der künstlerischen Seite unbedingt einfordern oder erwarten könnte. Und das ist ein wirklich fruchtbarer Austausch und hat großen Spaß gemacht. Es ist eine große Teamleistung, die zwischen den Architekten, den Künstler und uns entstanden ist.